Der Fall Casa Pia

 Portugals politische Elite im Visier

 


Sexuell missbraucht, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen - für viele Jungen und Mädchen war das Lissaboner Waisenhaus Casa Pia jahrelang ein Ort des Grauens. Die Opfer hoffen heute auf Gerechtigkeit. Doch verzögert sich der Prozessbeginn immer weiter. Ein Grund: die politische Spitze Portugals ist darin verwickelt.

Von ARD-Korrespondentin Ute Brucker


„Hier auf dieser Straße durch den Park fuhren die Autos abends ganz langsam. Die Fahrer ließen die Scheiben runter und winkten den Kindern aus der Casa Pia. Manche sind dann eingestiegen – der Platz war bekannt als Kinderstrich."


Das ist das besagteKinderheim

 

Aber nicht nur hier wird unter der öffentlichen Hand Missbrauch getrieben.

Pedro Namora, Rechtsanwalt geht mit uns durch den kleinen Stadtpark in der Nähe von Lissabons bekanntester Sozialeinrichtung, der Casa Pia. Vor 30 Jahren war er selbst Schüler dort gewesen, das Heim ist Schule und Internat für sozial Schwache und Waisenkinder. Eine Institution, im 18. Jahrhundert gegründet, die jetzt in den größten Pädophilieskandal der Geschichte Portugals verwickelt ist. Denn die Heimleitung habe nicht nur jahrelang von der Straßenprostitution ihrer Zöglinge gewusst, sondern zum Teil sogar selbst eine zwielichtige Rolle gespielt. „Keiner hat uns Kinder und Jugendliche davon abgehalten, abends in den Park zu gehen", erzählt heute Namora. Carlos Silvino, genannt „Bibi", war Aufseher in der Casa Pia seit den siebziger Jahren. Und seit damals soll er regelmäßig Schutzbefohlene sexuell missbraucht haben. „Er hat die Kinder aufs brutalste vergewaltigt, zum Beispiel im Auto wenn er sie in die Stadt brachte zum Kino, oder zu einem Fußballspiel, oder wenn sie sich irgendwo in einer entlegenen Ecke auf dem Schulgelände aufhielten, wo ihnen niemand helfen konnte. Dann hat er sie in die Toilette gezerrt, oder in die Garage und sich dort an ihnen vergangen." Auch ihn selbst habe „Bibi" einmal versucht, auf der Toilette zu vergewaltigen, erzählt Pedro Namora, doch er habe Glück gehabt und konnte entkommen. Die ganzen Ausmaße der Vorgänge hat Namora erst jetzt erfahren, als der Skandal ans Licht kam - und er mit ehemaligen Kameraden sprach.


Bis in die Spitze der portugiesischen Gesellschaft .. und nicht nur in Portugal!!


Nach den Berichten der Opfer hat „Bibi", der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt, aber auch eine Rolle als Zuhälter gespielt. „Erst hat er sie selbst vergewaltigt, und dann anderen zugeführt, zum Beispiel einem ehemaligen Botschafter, der jetzt auch verhaftet wurde." Der Botschafter, die beiden Fernsehmoderatoren Carlos Cruz und Herman José, verschiedene Ärzte – die Liste der mutmaßlichen Täter reicht bis in die Spitze der portugiesischen Gesellschaft - und der Politik: Auch gegen den Ex-Sozialminister Paolo Pedroso hat die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Die portugiesische Prominenz steckt tief im Sumpf. Doch genau das scheint die juristische Verfolgung zu erschweren. Die Ermittlungen sind abgeschlossen und eigentlich hätte der Fall „Casa Pia" Ende Januar in die Gerichtsphase gehen sollen, doch bis jetzt hat noch kein Gericht die Klage angenommen.

Verzögerungstaktiken und Drohungen. Wie oft es Parallelen gibt.

Die Journalistin Felicia Cabrita macht Eingaben und Verzögerungstaktik der Verteidiger dafür verantwortlich: „Bis der eigentliche Prozess beginnt, werden noch Monate vergehen", fürchtet sie. Ihren Recherchen ist es zu verdanken, dass an die Öffentlichkeit kam, was seit über 30 Jahren wohl trauriger Alltag für viele Schüler der Casa Pia war. Doch die prominenten Beschuldigten ziehen alle Register: Felicia Cabrita wurde persönlich bedroht, genauso wie Rechtsanwalt Pedro Namora. Doch viel schlimmer findet er noch, dass die Opfer ebenfalls weiter zu leiden haben: „Sie rufen die Kinder und Jugendlichen an und drohen, es werde ihnen etwas zustoßen, falls sie aussagen."

Sexuellen Missbrauch in über tausend Fällen hat die Staatsanwaltschaft konstatiert. Pedro Namora hofft auf eine unbestechliche Justiz - und Gerechtigkeit für alle Opfer. Meine Meinung? Es bleibt bei der Hoffnung!!

Stand: 16.02.2004 10:26 Uhr

 
Seite 2Kipo_Portugal_04b.html