Gift-Fleisch in Kindergärten

Montag, 3. Juni 2002

EU-Kritik schon vor Monaten

Die EU hat offenbar schon vor Monaten den laxen Umgang deutscher Behörden mit Überschreitungen von Grenzwerten in Nahrungsmitteln kritisiert. Verbraucherschutzministerin Renate Künast sagte am Montag, EU-Experten hätten nach einer Reise durch Bayern und Sachsen kritisiert, dass Informationen über Grenzüberschreitungen nicht schnell genug weitergeleitet würden.

In beiden Ländern seien Informationen 60 Tage lang unterwegs gewesen. "Da haben Sie nichts mehr, was Sie vom Markt nehmen können. Bis dahin ist das aufgegessen", sagte Künast.

Die Behörden müssten so ausgestattet werden, dass sie Betriebe regelmäßig kontrollieren und auch unangemeldet Proben nehmen könnten, forderte die Grünen-Politikerin. Zugleich sprach sich Künast dafür aus, eine Meldepflicht für Rückrufaktionen einzuführen.

"Stoiber an der Seite der Täter"

Künast warf CDU und CSU vor, am Freitag im Bundesrat schärfere Kontrollen und damit auch mehr Verbraucherschutz blockiert zu haben. "Spätestens seit der vergangenen Woche hat sich Edmund Stoiber endgültig auf die Seite der Täter gestellt", sagte die Grünen-Politikerin.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel warf Künast dagegen vor, im Nitrofen-Skandal keine Verantwortung gezeigt zu haben. Der eigentliche Skandal sei, dass die nachgeordneten Bundesbehörden der Ministerin ihre Erkenntnisse über Nitrofen in Futterweizen nicht gemeldet hätten.

Nitrofen-Geflügel in Kindergärten

Nach Angaben des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums ist mit Nitrofen belastetes Geflügelfleisch seit November 2001 an mindestens 90 Abnehmer in zehn Bundesländern geliefert worden. Weitere Lieferungen seien auch ins Ausland gegangen

Inwieweit das Fleisch zu Endverbrauchern gelangte und gegessen wurde, sei noch immer unklar. In Bremen wurde das belastete Fleisch nach Angaben der Behörden in drei Kindergärten verwendet. Außerdem seien mindestens zwei Lebensmittelhändler versorgt worden.

Bei der Ware handelt es sich um Geflügel der Grüne Wiesen GmbH in Emstek im Kreis Cloppenburg, das zwischen dem 1. November 2001 und dem 23. Mai 2002 geschlachtet wurde.

Nitrofen auch in Schweinefutter und in Masthähnchen

Nach Informationen des ZDF ist die Verseuchung von Öko-Tierfutter mit Nitrofen jetzt auch in Schweinefutter nachgewiesen worden. Nach einem aktuellen Prüfbericht der Landwirtschaftskammer Rheinland in Bonn ist "Öko-Ergänzungsfutter fein" für Schweine hochgradig belastet.

Ein Landwirt aus dem Raum Paderborn habe das ihm von der GS agri in Niedersachsen gelieferte Futter im Labor untersuchen lassen. Laut Prüfbericht wurde dabei ein um das Achtfache erhöhter Nitrofenwert ermittelt.

Ebenfalls in Nordrhein-Westfalen wurden Nitrofen-Spuren erstmals in Masthähnchen aufgespürt. Wie das Düsseldorfer Agrarministerium am Montag mitteilte, sollen 600 Tiere, die aus einem von elf derzeit gesperrten Betrieben stammen, vernichtet werden.

Die Suche geht weiter

Die Behörden suchen weiterhin nach verseuchter Ware aus der Lagerhalle der NSP in Malchin. Bislang ist noch unklar, wohin die knapp 51 Tonnen Lupinen sowie 62 Tonnen Weizen geliefert wurden.

Am Wochenende hatten die Behörden die Hintergründe des Nitrofen-Skandals weitgehend geklärt. In der Halle in Malchin hatte die NSP das Öko-Getreide seit Oktober 2001 gelagert. Bis zur Wende waren dort Unkrautvernichtungsmittel gelagert worden. Gegen die NSP wird wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz ermittelt